Wie FFP2-Masken schützen

13. Januar 2021, 15:33 Uhr, Süddeutsche Zeitung

In Bayern sind die hochwertigen Masken bald Pflicht. Wie sie helfen und was bei der Wiederverwendung zu beachten ist.

Vom kommenden Montag an wird die Maskenpflicht in Bayern verschärft. Wer sich in öffentliche Verkehrsmittel oder zum Einkaufen begibt, muss fortan eine FFP2-Maske tragen, die nahezu gleichwertig mit der hauptsächlich in den USA verwendeten KN95-Maske ist. Die Abkürzung FFP steht für "Face Filtering Piece". Diese hochwertigen Masken schützen deutlich besser vor schädlichen Tröpfchen und Aerosolen als chirurgische oder Alltagsmasken - zumindest in der Theorie. In der Praxis hilft jede Atemschutzmaske nur, wenn man sie richtig trägt und sorgsam damit umgeht.

Darauf muss immer wieder hingewiesen werden, denn manche Alltagsmasken sehen so zerfleddert aus wie die Fahne des Piratenschiffs, das Asterix und Obelix regelmäßig versenken. Viren werden davon kaum abgehalten, vielleicht erinnert das durchschossene Textil immerhin daran, Abstand zu wahren. Und wenn die Tagesthemen in ihrer Rubrik "mittendrin" "einen intensiveren Blick auf die Heimat" werfen, sieht man regelmäßig Einzelhändler oder Gastronomen nasenfrei von ihrem Umgang mit der Pandemie berichten. Ende Januar ist es ein Jahr her, dass in Stockdorf nahe München die ersten Infektionen mit Sars-CoV-2 in Deutschland auftraten, aber noch immer tragen manche Menschen ihren Mund-Nasen-Schutz nachlässig oder falsch und gefährden damit sich und andere.

Die Einteilung der Masken bezieht sich auf ihre Filterleistung. In Studien muss belegt sein, dass FFP2-Masken mindestens 94 Prozent und FFP3-Masken 99 Prozent der Testaerosole filtern. "Sie bieten daher nachweislich einen wirksamen Schutz auch gegen Aerosole", teilt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit, und zwar Fremd- und Eigenschutz. Damit der Schutz gewährleistet ist, müssen die Masken passen, das heißt, an Wangen, Nase und Kinn dicht abschließen, sodass keine Luft an den Seitenrändern vorbeiströmt, sondern komplett durch das Filtervlies gereinigt wird. Wenn eine neue Maske aufgesetzt wird, sollten die Nasenbügel angepasst werden, das verbessert den Sitz.

Eigentlich sind die Masken für den Einmalgebrauch gedacht

Zudem ist es wichtig, vor und nach Gebrauch der Maske die Hände mit Seife zu waschen oder zu desinfizieren. Die Maske sollte nur an den Bändern angefasst werden, nicht am eigentlichen Stoff außen oder innen, an dem sich infektiöse Partikel befinden könnten. Diese Gebrauchsanweisungen sind keineswegs banal. Gerade hat eine Studie im Fachmagazin PNAS gezeigt, wie sehr der Infektionsschutz von der korrekten Verwendung und der Verbreitung der Masken abhängig ist.

Eigentlich sind Masken für den Einmalgebrauch gedacht. Wer sie wie Medizin- und Pflegepersonal den ganzen Tag trägt oder durchfeuchtet hat, sollte sie entsorgen. Aber erstens gibt es in der Pandemie Lieferengpässe in diesem Land und womöglich nicht überall genügend FFP2-Masken. Zweitens muss eine Maske nach einem kurzen Einkauf oder einer Fahrt mit der U-Bahn nicht gleich weggeworfen werden, weil mit einer geringeren Erregerbelastung zu rechnen ist.

Mehr…

Was die korrekte Aufbewahrung angeht, ist der Blick auf den Abspann von Talkshows verräterisch. Oft sieht man dort Ärzte und andere Pandemieexperten die Maske aus der Hosentasche holen. So ist das nicht gedacht. Untersuchungen haben ergeben, dass Sars-CoV-2 bei Raumtemperatur auf der Maske erst nach mehreren Tagen deutlich an Infektiosität verliert, wie Virologen, Mikrobiologen und Hygieniker der Fachhochschule und Universität Münster schreiben.

Die Wissenschaftler haben Möglichkeiten der Wiederverwertung von FFP2-Masken untersucht. Sieben Tage auslüften an einem trockenen Ort reduziert die Virenbelastung demnach deutlich, wenn auch nicht vollständig. Die Forscher aus Münster empfehlen sieben Haken für die Woche; die "Montagsmaske" könnte dann nach einer Woche wiederverwendet werden, insgesamt darf der Zyklus nicht mehr als fünfmal wiederholt werden Auf keinen Fall sollten Masken zum Trocknen auf die Heizung gelegt werden. Für viele Bakterien und Pilze bieten 30 bis 40 Grad in feuchten Masken beste Wachstumsbedingungen.

Reinigungsmittel können das Filtervlies beschädigen

Optimal wäre es, die Masken bei 80 Grad eine Stunde im Backofen zu erhitzen. Bratenthermometer sowie Ober- und Unterhitze werden empfohlen, maximal fünfmal kann die Aufbereitung wiederholt werden. Die Temperatur ist wichtig: bei 70 Grad werden nicht zuverlässig alle Keime abgetötet. Ab 90 Grad verformt sich die Maske und bei 105 Grad lässt die Filterleistung nach. Für Masken mit Ventil eignet sich die Methode nicht.

Von anderen Formen der Erhitzung wird abgeraten. Im Kochtopf oder mit Wasserdampf werden Filtermaterialien beschädigt. In der Mikrowelle kann es zu Materialschäden kommen und die Filterleistung beeinträchtigt werden. Zudem ist dort die Temperaturentwicklung unterschiedlich, sodass Erreger nicht zuverlässig abgetötet werden. Waschmaschine und Spülmaschine führen zur mechanischen Belastung der Masken, zudem können Reinigungsmittel das Filtervlies schädigen. UV-Lampen schließlich wirken nur an der Oberfläche und nicht in der Maske, außerdem können sie den Kunststoff der Maske schädigen.

FFP2-Masken schützen nur dann, wenn es sich tatsächlich um solche handelt und nicht um Fälschungen. Das CE-Zeichen und eine vierstellige Nummer dahinter zeigen die Prüfung nach europäischer Norm an. Welche Prüfstelle sich hinter dem vierstelligen Code verbirgt, kann leicht im Internet verifiziert werden.

Weniger…
Grafik Süddeutsche vom 19. Dezember 2020

Unsere Nachbarländer


  • Mehrere europäische Staaten haben im Herbst bereits einen Lockdown   durchgemacht, darunter Irland und Österreich. Dort gingen die Fallzahlen  langsamer zurück, sie halbierten sich nur alle zwei bis drei Wochen.  
  • Relativ zügig zeigte der Lockdown in Frankreich Wirkung. Dort blieben  die meisten Schulen offen, dafür waren auch kleinste Treffen außerhalb  des eigenen Haushalts verboten
  • Wie schnell ein Lockdown wirkt, hängt von den Details im Regelwerk ab.  Im Ausland galten teilweise strengere Ausgangsbeschränkungen als nun in   Deutschland. Das oft als Vorbild genannte Irland ließ die Schulen   geöffnet und reduzierte dafür die Auslastung im öffentlichen Nahverkehr.
  • "Tatsächlich ist die Masse der Infektionen nicht in den Wohnheimen,  sondern in der Normalbevölkerung", sagt Drosten. Besonders gefährdet  seien also alte Menschen in häuslicher Pflege, dort bleibe das Virus  häufiger unentdeckt.
  • Im besten Fall halbieren sich die Fallzahlen bei strengen  Corona-Maßnahmen einmal pro Woche, sagt die Physikerin Viola Priesemann  vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation: "Von 200 auf  100, von 100 auf 50, von 50 auf 25." Nach drei Wochen wäre demnach das  Ziel erreicht.
  • Österreich geht ab dem 26. Dezember für mindestens drei Wochen in  den 3. coronabedingten Lockdown. Ab dem 18. Januar sollen der Handel sowie   erstmals seit November auch Kultur und Gastronomie wieder öffnen -   allerdings nur für Menschen, die bei einem der dann landesweit umsonst   angebotenen Corona-Schnelltests negativ getestet werden. "Für alle, die nicht bereit sind, sich testen zu lassen, gelten die Regelungen des   Lockdowns bis 24. Januar, also eine Woche länger", sagte Kanzler  Sebastian Kurz am Freitagabend.
Quelle: Süddeutsche Papier vom vom 19. Dezember 2020



Masken schützen die Träger und Menschen in der Umgebung - das ist nach anfänglichen Zweifeln nun längst klar.       Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa


Was wirklich schützt


Süddeutschen WISSEN vom 13. Oktober 2020

Über die richtigen Corona-Maßnahmen wird gerade heftig gestritten. Ob Reisebeschränkungen, Masken im Freien oder Händedesinfektion: Welche Strategien effektiv sind.     Von Dr. med. Werner Bartens, Dr. Christina Berndt, Felix Hütten und Kathrin Zinkant

             

Leitender Redakteur, Wissen Werner Bartens wurde 1966 in Göttingen geboren. Studium der Medizin, Geschichte und Germanistik in Gießen, Freiburg, Montpellier (F) und Washington D.C. (USA). Nach dem US-Staatsexamen Medizin (1992) Forschungsjahr an den Nationalen Gesundheitsinstituten (NIH) in Bethesda (USA). 1993 Staatsexamen Medizin in Freiburg und Promotion zum Dr. med. mit einer Doktorarbeit über genetische Grundlagen des Herzinfarktes. 1995 Magisterexamen in Deutsch und Geschichte mit einer Abschlussarbeit über Rassentheorien im 19. und 20. Jahrhundert. Bartens arbeitete zwei Jahre als Arzt in der Inneren Medizin an den Unikliniken Freiburg und Würzburg, anschließend Postdoktorand in der Arbeitsgruppe des Nobelpreisträgers Georges Köhler am Max-Planck-Institut für Immunbiologie in Freiburg. Seit 1997 Buchautor, Übersetzer, Ko-Autor einer WDR-Seifenoper und tätig für SZ, Zeit, FAZ und taz. Von 2000 bis 2005 Redakteur im Reportage-Ressort der Badischen Zeitung und zuständig für Medizin; daneben Mitarbeit bei SZ, Zeit und taz. Seit 2005 ist Bartens Redakteur im Ressort Wissen der SZ, seit 2008 Leitender Redakteur. Er hat mehr als 20 populäre Sachbücher veröffentlicht, darunter etliche Bestseller wie "Das Lexikon der Medizin-Irrtümer", "Körperglück", "Heillose Zustände", "Was Paare zusammenhält" und "Wie Berührung hilft". Bartens ist zu Fragen der Medizin und Gesundheitspolitik oft im Fernsehen zu Gast. Er wurde vielfach mit Journalistenpreisen geehrt und 2009 als "Wissenschaftsjournalist des Jahres" ausgezeichnet. Weitere Infos: www.werner-bartens.de

Dr. Christina Berndt, geboren 1969 in Emden, beschäftigt sich bei der Süddeutschen Zeitung mit den Themenbereichen Medizin, Psychologie und Lebenswissenschaften. 1988 begann sie ihr Studium der Biochemie mit dem erklärten Ziel, Wissenschaftsjournalistin zu werden. Mit einem Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes studierte sie in Hannover und an der Universität Witten/Herdecke. Im Anschluss daran arbeitete sie zunächst wissenschaftlich - während ihrer Doktorarbeit am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, für die sie mit dem Promotionspreis der Deutschen Gesellschaft für Immunologie ausgezeichnet wurde. Schon während ihrer Promotion schrieb sie für die Rhein-Neckar-Zeitung über Medizin und Forschung. Es folgten Praktika bei der Deutschen Presseagentur, dem Spiegel, dem Süddeutschen Rundfunk, Bild der Wissenschaft und der Süddeutschen Zeitung, zu deren Redaktion sie seit März 2000 gehört. Sie erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen: European Science Writers Award (2006), Wächterpreis für die Enthüllung der Transplantationsskandale (2013), Wissenschaftsjournalisten des Jahres 2013 (3. Platz), Karl-Buchrucker-Preis (2018). Nominierungen für den Henri-Nannen-Preis (2013), den Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wissenschaftsjournalismus (2014) und den Deutschen Reporterpreis (2015 und 2017). Ihre Bücher "Resilienz - Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft" und "Zufriedenheit - Wie man sie erreicht und weshalb sie lohnender ist als das flüchtige Glück" wurden Bestseller.

Felix Hütten ist Redakteur in der Wissensredaktion, verantwortlich für das Wissen am Wochenende. Er hat in Dresden, Berlin und Lyon Medizin und Politikwissenschaft studiert. Im Anschluss Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München. Sein Buch "Sterben lernen" ist 2019 im Hanser-Verlag erschienen.

Kathrin Zinkant, geboren 1974, begleitet das Schicksal der Wissenschaft für die SZ in Berlin. Sucht nach wissenschaftlicher Evidenz in der Bundespolitik, genauso wie nach Hand und Fuß in den aktuellen Forschungsdebatten. Die Ethik ist immer mit dabei. Hat Biochemie studiert und für die FAS, die Zeit, den Freitag und die taz gearbeitet. Ist naturgemäß ein Fan der Fernsehserie "Cosmos: A Personal Voyage".


Mehr…



Abstand halten

       Am Anfang hieß es oft, man solle zwei Meter Abstand halten, inzwischen verlangt das Abstandsgebot meist 1,5 Meter. Die Regelung soll Tröpfcheninfektionen verhindern - also die Übertragung von Sars-CoV-2 durch kleine Tröpfchen, die Menschen beim Atmen, Husten, Sprechen und Niesen absondern. Diese sinken im Umkreis von ein bis zwei Metern zum größten Teil zu Boden. Außerhalb dieser Zone ist die Gefahr, sich über die Tröpfcheninfektion anzustecken, daher gering. Nichtsdestotrotz ist der geforderte Abstand willkürlich. Wie weit die ausgestoßenen Tröpfchen fliegen, hängt von verschiedenen Faktoren ab - unter anderem von der Raumtemperatur und der Luftfeuchtigkeit. Denn bei Hitze und Trockenheit werden die Tröpfchen kleiner und sinken weniger leicht ab. Eine Schutzzone von zwei Metern wäre somit sicherer, manche Tropfen fliegen so weit, aber sie ist auch unpraktikabler.      

Allerdings hilft Abstand halten nur gegen die größeren der kleinen Tröpfchen, die Menschen absondern. Gegen die kleinsten Tröpfchen, die Aerosole bilden, nützt der Abstand nichts. Denn die winzigen Tröpfchen, die einen Durchmesser von weniger als fünf Mikrometer haben und besonders häufig beim Schreien und Singen, aber auch beim Atmen und Sprechen entstehen, bleiben lange in der Luft stehen und können sich dort auch verteilen. Sie sind zu klein, um zu Boden zu sinken. In geschlossenen Räumen reichern sie sich daher an. Auch Aerosole gelten neben der klassischen Tröpfcheninfektion als ein wesentlicher Ansteckungsweg bei Sars-CoV-2.

      

Handhygiene

      Sars-CoV-2 kann tagelang auf manchen Oberflächen überleben. Insofern besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sich den Erreger einzufangen, indem man damit benetzte Gegenstände anfasst. So banal und altbacken diese Empfehlung auch daherkommen mag, regelmäßiges Händewaschen gilt als eine anerkannte Grundregel gegen alle möglichen Arten von Infektionen, auch gegen Corona. Denn Menschen greifen sich in der Regel jeden Tag viele Male selbst ins Gesicht und können so Erreger von den Händen auf jene Stellen übertragen, die für den Einfall der Viren besonders empfänglich sind: die Schleimhäute von Mund, Nase und Augen. Im öffentlichen Raum sollte man daher während der Pandemie möglichst wenige Dinge berühren, und bei der Rückkehr nach Hause sollte der erste Gang zum Waschbecken führen.      


Alltagsmasken allgemein und im Freien

      Noch Monate nach Beginn der Pandemie hieß es, das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen (MNB) durch Normalbürger könnte das Problem noch vergrößern, da diese nicht sorgfältig mit Masken umgehen könnten; Ärzte in Krankenhäusern würden dagegen intensiv im Gebrauch von Masken geschult. Doch die Haltung hat sich gewandelt, seit Jena als erste deutsche Stadt Anfang April gegen zahlreiche Widerstände ein Maskengebot erließ. Alltagsmasken gelten mittlerweile neben Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen als einer der drei wesentlichen Pfeiler ("AHA") des Infektionsschutzes, da sie Tröpfchen zurückhalten. Das sieht nun neben den Gesundheitsbehörden der meisten europäischen Länder auch das Robert-Koch-Institut (RKI) so, dem die wissenschaftliche Evidenz lange nicht ausreichte. Masken schützen den Empfehlungen zufolge vor allem in geschlossenen Räumen und dort, wo Abstandhalten schwer möglich ist. Wissenschaftliche Studien untermauern mehr und mehr, dass Masken nicht nur andere Menschen, sondern auch die Träger selbst schützen. So sank die Rate der mit Sars-CoV-2 infizierten Ärzte und Pfleger in einem New Yorker Krankenhaus deutlich, nachdem in dem Hospital eine Maskenpflicht für das gesamte Personal eingeführt wurde.      

Das RKI empfiehlt inzwischen auch das Tragen von Masken in dicht gedrängten Situationen im Freien, wenn dort in Menschenansammlungen der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann. Denn wenn man von seinem Gegenüber direkt mit feinen Tröpfchen bedacht wird, hilft der Zug an frischer Luft auch nicht mehr.

      

Lüften

      Neben "Superspreading" ist "Aerosole" das zweite Buzzwort der Pandemie geworden. Die Erkenntnis, dass feinste, virusbeladene Tröpfchen aus dem Atem sich über längere Zeit und mehrere Meter mit der Luft bewegen und sich in geschlossenen Räumen schließlich gefährlich anreichern können, hat zur Erweiterung der AHA-Regel geführt: Sie wurde nun durch L wie Lüften ergänzt. Die Zufuhr von Frischluft kann dabei durch technische Anlagen, im privaten Bereich aber auch ganz normal über die Fenster erfolgen.      

Bleibt die Frage, wie oft und lang ein Raum zu lüften ist. Das hängt von der Zahl der Personen, klimatischen Faktoren wie Wind und Temperatur, von der Größe des Zimmers und dessen baulicher Beschaffenheit ab - und natürlich auch von der Zähigkeit der Menschen im Raum. Nicht jeder ist für stündliches Stoßlüften bei einstelligen Temperaturen gemacht. Dennoch ist klar: Wer regelmäßig lüftet, senkt das Infektionsrisiko.

      

Corona-Warn-App

      Seit dem 16. Juni 2020 gibt es in Deutschland die Corona-Warn-App. Heruntergeladen haben sie bisher mehr als 18 Millionen Menschen - 28 Millionen sind Umfragen zufolge dazu bereit. Und damit beginnt das Problem. Bisher nutzt nicht mal ein Viertel der Bevölkerung die freiwillige App. Der Anteil derer, die freiwillig eine Infektion melden, dürfte noch geringer sein. Deswegen werden längst nicht alle Neuinfektionen erfasst. Im Zuge der Testpannen wurde bekannt, dass auch die Übermittlung der Testergebnisse oftmals nicht oder verspätet erfolgte.      

Die Zeitdauer von 15 Minuten für einen Risikokontakt ist willkürlich; auch in fünf Minuten kann man sich anstecken. Allerdings steigt das Risiko mit der Dauer des Kontakts. Jeder Grenzwert hat das Problem der angemessenen Schwelle; auch wer Tempo 50 einhält, kann Unfälle verursachen. Ein Baustein der Risikominimierung könnte die App trotzdem sein. Der Nutzen ist aber schwer zu beurteilen, was auch daran liegt, dass viele Datenschutzbedenken Berücksichtigung fanden. So werden die Daten verschlüsselt und ausschließlich auf dem eigenen Smartphone gespeichert. "Es gibt keine Daten, wie viele Menschen mithilfe der Corona-Warn-App über eine mögliche Risikobegegnung informiert wurden, da die App auf einem dezentralen Ansatz basiert", teilt das RKI mit. Eine Arbeitsgruppe deutscher Forscher hatte der App im August - korrekt angewendet - anhand von Modellrechnungen eine große Wirksamkeit prophezeit. Im September hieß es von derselben Forschergruppe, dass "die Wirksamkeit noch zu beweisen" wäre.

      

Reisebeschränkungen

      Schotten dicht, Grenzen zu, Züge im Bahnhof und Flugzeuge am Boden? Mit den steigenden Fallzahlen werden nun in Politik und Wissenschaft wieder vermehrt Reisebeschränkungen als Gegenmaßnahme diskutiert. Zunächst ist es naheliegend, dass das Virus mit Menschen auf Reisen geht. Wer also zu Hause bleibt, kann es nicht weitertragen. Auch andersherum funktioniert die Regel: Wer viel unterwegs ist, in Bahnhöfen, Flughäfen, Autobahnraststätten, trifft eher auf eine infizierte Kontaktperson. Stillstand schützt. Was gegen das individuelle Risiko einer Infektion hilft, lässt sich nicht unbedingt als sinnvolle Maßnahme auf die Gesellschaft übertragen. Bereits im April zeigte eine Simulation von Analysten um den Physiker Alessandro Vespignani, veröffentlicht im Fachblatt Science, dass etwa Reiseverbote für die Einwohner Wuhans das Virus nur leicht bremsen konnten. Es zirkulierte vor Ort bereits zu sehr. Zu einem ähnlichen Fazit kommen Experten des renommierten Cochrane-Netzwerks in einer Auswertung bestehender Studien zu dem Thema. Sie fanden lediglich leichte Hinweise darauf, dass grenzüberschreitende Reisebeschränkungen die Zahl der Neuinfektionen reduzieren. Deutlich effektiver erscheint, auch mit Blick auf die wissenschaftliche Literatur zu dem Thema aus Vor-Corona-Zeiten, etwa zur Ausbreitung von Grippeviren, der Kampf gegen das Virus vor Ort. Insbesondere gilt es, lokale Herde zu vermeiden und Infektionsketten schnell zu durchbrechen.      


Sperrstunden

      Kommen sich die Menschen weniger nahe, können sich weniger anstecken. Das ist so banal wie richtig. Insofern sind Sperrstunden auf den ersten Blick eine gute Idee. Entscheidend ist aber - wie so oft - die Umsetzung. In den Ausgehvierteln Londons feierten Menschen dicht gedrängt auf Straßen und in der U-Bahn, nachdem die Regierung Johnson Ende September verordnet hatte, dass Pubs um 22 Uhr schließen. Manche tranken aus derselben Flasche und umarmten sich - eine Einladung für jedes Virus. Britische Virologen forderten daraufhin, Kneipen und Restaurants zu schließen - oder die Öffnungszeiten zu verlängern, um das Gedränge zu entzerren. In Salzburgs Innenstadt und andernorts in Österreich führten vorgezogene Sperrstunden hingegen dazu, dass die Straßen abends meist menschenleer waren.      

Der Nutzen von Sperrstunden ist nicht belegt, denn es kommt darauf an, wie andere Maßnahmen die Sperrstunden ergänzen. Kommt es anschließend oder stattdessen nicht zu Treffen größerer Gruppen im öffentlichen Raum oder privat, ist die Regel sinnvoll. Wird hingegen als Ersatz für geschlossene Clubs und Kneipen zu Hause, im Park oder im Hof gefeiert, steigt das Risiko für Neuinfektionen, da sich niemand für Abstand, Masken und Hygiene verantwortlich fühlt.

      

Alkoholverbot

      Alkohol gilt als gesellschaftliches Schmiermittel und Volksdroge Nummer eins. Zur erwünschten Nebenwirkung von Alkohol gehört es, dass zwischenmenschliche Hemmungen fallen und sich Abstände verringern. Nicht gut in Zeiten der Pandemie. Insofern ist es naheliegend, dass Kommunen in beliebten Stadtbezirken ein Alkoholverbot aussprechen. Doch damit wird das Problem nur verlagert - deswegen ist ein Nutzen von Alkoholverboten auch nicht wissenschaftlich erwiesen. Wer trinken will, findet Ort und Gelegenheit dazu, auch in Gemeinschaft. Die Herde zieht weiter und begünstigt Infektionen anderswo.      

In etlichen Weltgegenden gibt es den Aberglauben, dass Alkoholkonsum einer Ansteckung mit Sars-Cov-2 vorbeugt. Das Gegenteil ist der Fall; regelmäßiger Alkoholkonsum schadet dem Immunsystem und beeinträchtigt die Abwehrkräfte. Trotz erwiesener Gesundheitsgefahren wäre ein komplettes Alkoholverbot in den meisten Ländern politisch nicht durchzusetzen. Ein weiteres Problem: Jedes Gesundheitssystem würde vor enormen Aufgaben stehen, wenn jene Alkoholkranken, die bisher nicht behandelt werden, plötzlich auf Entzug kämen und mit akuten Symptomen in Notaufnahmen und Kliniken müssten.

      

Quarantäne

      Wer Kontakt mit einem Infizierten hatte, könnte sich angesteckt haben - und wieder andere anstecken. Weil es bis zu fünf Tage dauert, bis sich das Virus in den Schleimhäuten vermehrt hat und gegebenenfalls durch einen Test nachgewiesen werden kann, müssen die Betreffenden sich in häusliche Quarantäne begeben. Das heißt, man bleibt zu Hause und meidet dort auch den Kontakt mit anderen Mitgliedern des Haushalts, lässt sich also das Essen vor die Tür stellen und geht nur allein ins Bad. Nach den ersten fünf Tagen kann dann getestet werden - oder aber, die Person bleibt weiter in Quarantäne, auch wenn er oder sie nicht krank wird. Infektionen können asymptomatisch verlaufen, dennoch sind die Betreffenden in dieser Zeit mutmaßlich ansteckend für andere.      

Wie lange die Quarantäne beizubehalten ist, wenn ein Test keine Klarheit schafft oder positiv ausfällt, legt das zuständige Gesundheitsamt fest. In der Regel sind insgesamt 14 Tage vorgesehen. Neuere Erkenntnisse über den Infektionsverlauf legen allerdings nahe, dass das Risiko einer Ansteckung durch asymptomatische Infizierte und tatsächlich Erkrankte nach zehn Tagen bereits sehr stark gesunken ist und eine weitere häusliche Isolation deshalb nicht unbedingt notwendig ist. Gleichwohl müssen sich Menschen in Quarantäne uneingeschränkt an die Vorschriften des Gesundheitsamts halten.

      

Kontaktbeschränkungen und Partyverbot

      Das sogenannte Superspreading-Event ist zu einem Kernthema dieser Pandemie geworden. Allzu häufig finden Massenansteckungen nämlich auf Partys statt, auf denen sehr viele Menschen vor allem in geschlossenen Räumen miteinander feiern. Fehlt es an Platz und Frischluft, reichert sich das Virus in der Luft an, und Abstand voneinander zu halten, ist beim Tanzen, lauter Musik und in dichtem Gedränge eh schwierig. Das gilt für Karnevalsfeiern genau so wie für Hochzeiten, Geburtstagspartys oder Clubevents. Solche Feiern werden deshalb vielerorts nun untersagt oder zumindest auf eine maximale Personenzahl beschränkt, die je nach Ort und Situation unterschiedlich hoch angesetzt sein kann. In Bayern und Baden-Württemberg gilt ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 35 Infektionen je 100 000 Einwohner eine Begrenzung auf 50 Personen für private Feiern.      

Welche Zahl wissenschaftlich sinnvoll ist, ist derzeit unklar. Prinzipiell gilt gerade im Aufflammen der Pandemie jedoch, Kontakte ganz allgemein zu reduzieren - durch einen kompletten Verzicht auf Partys, aber auch durch einen eingeschränkten Umgang mit anderen Menschen im Alltag. In der Regel ist festgelegt, dass sich höchstens Menschen aus zwei verschiedenen Haushalten treffen sollen, empfohlen wird, den Kreis von Kontaktpersonen klein und konstant zu halten.

      

Desinfektion

      Sprühflaschen in Restaurants und Kneipen gehören zu den vielen lästigen Neuerungen während der Pandemie. Ihr Sinn steht inzwischen infrage. Denn mehr und mehr zeigt sich, dass Sars-CoV-2 vor allem durch Tröpfchen und kaum über Oberflächen übertragen wird. "Eine routinemäßige Flächendesinfektion in häuslichen und öffentlichen Bereichen wird in der jetzigen Pandemie nicht empfohlen", schreibt das RKI. Vielmehr sei eine angemessene Reinigung mit Seifenlauge "das Verfahren der Wahl".      

Dem stimmt auch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, zu. Die Erkenntnisse zu Übertragungswegen von Corona seien eindeutig, sagte Reinhardt den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft. "Insofern ist die Desinfektion von Oberflächen, die wir derzeit noch sehr intensiv betreiben, unsinnig und obsolet." Auch das RKI räumt ein, dass eine Übertragung durch Oberflächen im öffentlichen Bereich bisher nicht nachgewiesen worden sei. Abzuraten sei in jedem Fall vom alleinigen Sprühen. Es ist nicht nur weniger wirksam gegen Erreger als eine Wischdesinfektion, bei der Druck ausgeübt wird. "Eine Sprühdesinfektion ist auch aus Arbeitsschutzgründen bedenklich, da Desinfektionsmittel eingeatmet werden können."

      

Tests

      Nur ein Test kann zeigen, ob sich jemand mit dem Coronavirus angesteckt hat oder nicht. Tests sind daher die wichtigste Maßnahme, um Infizierte zu finden, zu isolieren und zu verhindern, dass die Betreffenden das Virus weitergeben. Neben der klassischen PCR, die im Labor durchgeführt wird und je nach Situation nach einem oder mehreren Tagen ein Ergebnis liefert, gibt es mittlerweile schnellere Antigentests. Sie weisen Viruseiweiß nach und bieten binnen weniger als einer Stunde ein Ergebnis. Hinzu kommen Schnelltests, die wie die PCR das Erbgut des Virus nachweisen. Diese schnelleren Tests können eine Infektion zwar nicht so sicher ausschließen wie die PCR. Sie liefern jedoch einen Anhaltspunkt zur Infektiosität einer Person.      

Bislang sind allerdings nur wenige solche Tests erhältlich - und die Obergrenze der durchführbaren Tests wird weiter durch die PCR festgelegt. Wird zu viel getestet, können Labors und Gesundheitsämter dies nicht mehr bewältigen. Von ungezielten, massenhaft durchgeführten Tests raten Experten deshalb inzwischen ab. Testen lassen sollten sich Menschen mit einschlägigen Symptomen oder einem klar erhöhten Infektionsrisiko - sowie Menschen, die besondere Gefahr laufen, schwer zu erkranken und sogar zu sterben. Das betrifft vor allem ältere Mitmenschen.

.
Weniger…